Anlässlich der Priesterweihe von P. Stephan Waxenberger in Altötting ergab sich die Gelegenheit, mit Erzbischof Georg Gänswein über das Thema Priestertum ins Gespräch zu kommen und einige Fragen, auch in Bezug zum emeritierten Papst Benedikt, zu stellen. Wir danken Erzbischof Gänswein herzlich für die Zeit, die er uns gewidmet hat und für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.
Herr Erzbischof, wir freuen uns, dass Sie zu unserer Priesterweihe gekommen sind und uns nun auch einige Fragen beantworten wollen. In Corona-Zeiten ist das Reisen ja nicht ganz einfach. War es für Sie nicht kompliziert zu kommen? Warum haben Sie das auf sich genommen?
Erzbischof Gänswein: Die Reise war nicht kompliziert. Freilich musste ich die pandemiebedingten Maßnahmen einhalten und bestimmte Vorgaben befolgen. Es ging alles reibungslos und ohne Hindernisse. Ich hatte Ihnen vor gut anderthalb Jahren zugesagt, die Priesterweihe zu halten. Nun habe ich das Versprechen eingelöst. Gerne, sehr gerne bin ich gekommen.
Sie haben gestern eine Priesterweihe gespendet: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie einen jungen Menschen zum Priester Christi weihen? Wozu brauchen wir Priester – einen Beruf, der heute in der Öffentlichkeit fast nur im negativen Zusammenhang mit Missbrauch gesehen wird?
Erzbischof Gänswein: Der Priester ist als Verkünder der Frohen Botschaft, Spender der Sakramente und Zeuge Jesu Christi unersetzlich – auch und gerade heute. Das Priesterbild ist gegenwärtig in der Tat alles andere als positiv besetzt und darüber hinaus beißender Kritik ausgesetzt, verständlich, wenn wir an die Not um die Missbrauchsfrage denken. Aber wir dürfen uns nicht in Sippenhaft nehmen lassen. Das Priestertum ist größer als alles menschliche Versagen. Christus ruft auch heute Menschen in seine besondere Nachfolge. Das muss uns wirklich packen. Wir müssen um offene Ohren und Herzen beten, dass sein Ruf gehört wird, und zwar von vielen. Priestersein ist ein Geschenk und eine Herausforderung.
Die Berufungsfrage treibt die Kirche gerade in Westeuropa um: „Wo wachsen Priester?“, will man fragen. Wo und wie können junge Männer den Weg zum Priestertum finden? Was muss die Kirche als solche tun, aber auch jeder einzelne, die Familien?
Erzbischof Gänswein: „Priester wachsen“, wenn man sie wachsen lässt und das Wachstum fördert. Einem jungen Mann muss klar sein, worauf er sich einlässt, wenn er sich auf den Weg zum Priestertum macht. Es ist schlichtweg Kleingläubigkeit, ja Feigheit, wenn wir nicht mehr den Mut und die Überzeugung aufbringen, entschieden, froh und kräftig für Priesterberufungen zu „werben“. Für Priesterberufungen haben wir eine starke geistliche Waffe, die wir mächtig einsetzen müssen: das Gebet. Christus selbst hat uns ermutigt, ja ermahnt, um Arbeiter in seinem Weinberg zu bitten. Tun wir es: gläubig und froh.
Mit Ihnen kam zur Priesterweihe auch irgendwie ein Stück Papst Benedikt nach Altötting. Wie geht es dem emeritierten Papst?
Erzbischof Gänswein: Benedikt XVI. hat im April seinen 94. Geburtstag gefeiert und steht in einem biblischen Alter. Die physischen Kräfte haben freilich nachgelassen, und mit dem Gehen tut er sich schwer. Auch die Stimme wird immer schwächer. Gottlob ist sein Kopf klar. Und der Humor hilft über manche Altersbeschwerde hinweg.
Gibt es heute noch ein Interesse und eine Verbindung Papst Benedikts zu Altötting bzw. Bayern?
Erzbischof Gänswein: Auf jeden Fall. Aus den Gesprächen mit Benedikt XVI. nehme ich wahr, dass er im Geiste regelmäßig bestimmte Wege abgeht, sozusagen virtuelle Spaziergänge unternimmt, die ihn immer wieder an bestimmte Plätze und Orte seiner bayerischen Heimat führen, aber auch mit bestimmten Personen zusammenkommen lässt. Nicht zu vergessen: die Korrespondenz nach und von Bayern ist nie abgerissen.
Man hört vom zurückgezogenen Papst Benedikt wenig. Wenn er sich selten zu Wort meldet, sind die Reaktionen Freude und Begeisterung auf der einen, Entrüstung auf der anderen Seite. Woran liegt das?
Erzbischof Gänswein: Ja, man hört wenig, weil sich Benedikt XVI. mit dem Amtsverzicht, wie er selbst sagte, ins Schweigen zurückgezogen hat, was freilich nicht bedeutet, dass er Sprechverbot hätte. Aber die Erfahrung hat gezeigt, dass gerade in den deutschsprachigen Ländern sich so etwas wie eine „sprungbereite Feindseligkeit“ ausbreitet, wenn der emeritierte Papst sich geäußert hat. Mir ist und bleibt das ein Rätsel.
Wir leben in einer Zeit der Polarisierung der Meinungen, z.B. bzgl. des richtigen Umgangs mit Corona. Aber auch die Kirche, vor allem in Deutschland, wird zunehmend als uneins und als „streitende Kirche“ oder besser als „zerstrittene Kirche“ erlebt. Woher kann Einigkeit kommen? Was kann einem „normalen“ Gläubigen Sicherheit geben, wohin soll er sich orientieren? Ist solch gearteter „Streit“ ein wirksames Mittel, die Kirche zu reformieren?
Erzbischof Gänswein: Es hängt immer davon ab, was Gegenstand des Streits ist, worum es beim „Streiten“ geht. Geht es um Fragen des Glaubens oder sind es zeitgeistige Phänomene, die die Gemüter der Gläubigen erhitzen? Dass um Glaubensfragen gerungen wurde und wird, das gehört zum Wesen der „streitenden“ Kirche dazu und ist Zeichen von Lebendigkeit und Wachsamkeit. Wenn es allerdings um Dinge geht, die nicht wesentlich zum Glauben gehören, dann kostet das nur überflüssigerweise Kraft und sollte schnellstens eingestellt werden. Die Reform der Kirche fängt immer bei der persönlichen Umkehr an. Das ist der Ort, wo „Kirchenreform“ zuerst passieren sollte: Bei sich zuerst Hand anlegen. Die guten Früchte werden sich schnell zeigen.
Was kann in diesen Zeiten Mut machen?
Erzbischof Gänswein: Das Gleichnis vom Acker mit dem Weizen und dem Unkraut, wie es uns im Evangelium geschildert wird, ist und bleibt das beste Bild für die Kirche. In der Kirche wächst immer beides: Unkraut und Weizen. Gutes und Böses. Ein Blick in die Kirchengeschichte bestätigt das. Es gibt Großartiges, das aus dem Glauben entsteht, die Geschichte der kanonisierten aber auch nicht kanonisierten Heiligen gibt davon beredtes Zeugnis. Daneben aber gibt es auch bittere Verfehlungen und böse Abstürze. Die Zuversicht, die der gelebte Glaube schenkt, sollte letztendlich die Oberhand behalten. Im Glauben sieht man tiefer und weiter. Das schenkt Frieden und Freude im Herzen. Je tiefer einer mit der Not der Kirche vertraut ist, desto mehr weiß er auch, dass Christus das letzte Wort hat. Dass Er das Haupt seiner Kirche ist.
Zum Abschluss, Herr Erzbischof: Sie haben eine Weihe für unsere Gemeinschaft gespendet: Was möchten Sie uns Ordensleuten besonders auf den Weg mitgeben? Was unseren Jugendlichen und Familien?
Erzbischof Gänswein: Es war für mich eine sehr schöne menschliche Erfahrung und zugleich eine geistliche Bereicherung, die Priesterweihe zu spenden. Die vielen frohen, gläubigen Gesichter, die ich sehen konnte, sind eine ebenso wohltuende wie überzeugende Botschaft in dieser geistlich tristen Zeit. Erhalten Sie sich die Fröhlichkeit des Herzens und die Freude, die Sie im Glauben finden, und stecken Sie damit viele Menschen an. Der Herr wird dann das Seine dazutun.
Wir danken Ihnen für das Gespräch!
Bleiben oder gehen? | Predigt von Erzbischof Gänswein bei Priesterweihe in Altötting