Von P. Leopold Kropfreiter SJM
Der 25. Mai ist für die meisten Kinder in Kasachstan einer der schönsten Tage im Jahr: Mit ihm beginnen die Sommerferien, die bis zum ersten September dauern. In dieser Zeit führen wir in den Pfarreien zahlreiche Aktivitäten mit den Kindern und Jugendlichen durch. Ja, es gilt wirklich, den Sommer gut zu nutzen, denn im Herbst und Winter ist es aufgrund der Witterungsverhältnisse und des Stundenplans oft nicht möglich, etwas zu unternehmen.
Generalversammlung des Päpstlichen Missionswerkes in Rom
Ende Mai konnte ich zunächst an der Generalversammlung des Päpstlichen Missionswerkes in Rom teilnehmen. Hier treffen sich die Länderdirektoren von Missio aus der ganzen Welt. Ein Treffen, das nicht nur gefüllt ist mit intensiver Arbeit, sondern immer interessante Begegnungen ermöglicht. Die Kirche ist tatsächlich allumfassend, sie macht vor keiner Kultur, keinem Land, keiner Nation halt! Kasachstan zählt bei diesem Treffen zu den „Exoten“. Wenn ich den afrikanischen und asiatischen Kollegen von unseren Schneestürmen berichte, dann ernte ich häufig nur ein ungläubiges Kopfschütteln. Höhepunkt dieses Treffens ist die Audienz mit Papst Franziskus, in deren Verlauf jeder einzelne Nationaldirektor die Möglichkeit hat, den Papst persönlich zu treffen.
Kinderlager in Tonkoschurowka
Nach einer Abschlusswallfahrt zu den sieben Hauptkirchen in Rom, ging es zurück nach Kasachstan. Hier begann nun der Sommer mit einem wundervollen Kinderlager in Tonkoschurowka, an dem über 30 Kinder teilnahmen. Dieses Lager findet seit über 10 Jahren statt und erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit. Es ist aber auffällig, dass in Tonkoschurowka selber immer weniger Kinder sind. Das Dorf stirbt leider langsam aus, viele Familien ziehen in die größere Nachbarortschaft. So kommen nun auch viele Kinder aus den umliegenden Dörfern zu uns. Eine Entwicklung, die nicht so schlecht ist, weil wir dadurch unseren Wirkungskreis erweitern können.
Leider war das Wetter nicht besonders beständig, deswegen mussten wir immer wieder vor dem Regen flüchten. Trotzdem war die Laune sehr gut. Es ist besonders beeindruckend, dass die Kinder der Katechese und dem religiösen Programm mit großem Eifer folgen. Es kommt immer wieder vor, dass ich eine knappe Stunde beispielsweise über ein biblisches Thema spreche. Danach folgt die Gruppenarbeit, in der die Leiter mit ihren Gruppen ein Theaterstück, Plakate, Tänze, etc. zu der Thematik der Katechese einstudieren. Die Gruppenleiter arbeiten schon einige Jahre mit mir zusammen, weshalb sie ziemlich genau wissen, worauf ich besonders Wert lege. Am Ende des Vormittags folgt die Präsentation der Gruppenarbeiten, die sehr fröhlich und voller kreativer Überraschungen ist. Es ist ein gutes Zeichen, dass die Jugendlichen am Ende des Lagers immer sehr traurig sind, dass es keine „Verlängerung“ gibt – aber wirklich: Eine intensive Woche ist mehr als genug.
Jugendlager der „Bewegung der reinen Herzen“
Als nächstes folgte ein Jugendlager der „Bewegung der reinen Herzen“, wo ich der geistige Leiter bin. Das Lager fand in der Kleinstadt Schutschinsk, am Rand der sogenannten kasachischen Schweiz statt. Hier ragen plötzlich aus der Steppe kleine bewaldete Berge heraus, mit fantastischen Felsformationen, die jeweils eine eigene Geschichte zu erzählen haben. Am Eingang dieses Naturparkes findet man z.B. das liegende Kamel das das Gebiet bewacht. Im Zentrum des Parks befindet sich eine besonders markante Gesteinsformation: Betrachtet man sie von der einen Seite, entdeckt man das runzelige Gesicht einer alten Frau. Umrundet man nun allmählich diesen Stein, dann verwandelt sich das alte Gesicht allmählich in ein junges Mädchengesicht. Diese eigenartige Verwandlung ist so überraschend, dass man seinen eigenen Augen nicht traut.
An unserem Treffen nahmen 30 Jugendliche teil, ab 15 Jahren aufwärts, aus verschiedenen Pfarreien der Erzdiözese Astana. Im Verlauf dieser Woche besprachen wir Themen aus dem Jugendkatechismus. Erst im vergangenen Jahr hatten wir von Biblia – Österreich eine großzügige Spende erhalten, mit der wir 500 YouCats besorgen konnten, die auf die einzelnen Pfarreien und Organisationen verteilt wurden. Damit nun dieser herausragende Katechismus nicht nutzlos in den Regalen liegt, versuchten wir ihn im Rahmen unseres Treffens intensiv kennenzulernen.
Das eindrücklichste und tiefste Erlebnis war die gemeinsame nächtliche Anbetung. Jeder hatte die Möglichkeit, den Segen mit dem Allerheiligsten zu erhalten. Viele Jugendlichen nahmen die Gelegenheit war, eine Beichte abzulegen. Es ist für mich als Priester eine interessante Erfahrung, dass unsere Katholiken in Kasachstan weitgehend einen überaus positiven Bezug zur Beichte haben. Sie wird als konkreter Ort der Versöhnung und Befreiung erfahren. Natürlich ist es nicht leicht, sich zu überwinden. Wenn man aber erkennt, dass man sich nicht selbst retten kann, sich vor Gott aber auch nicht verstecken muss, dann fällt die Furcht weg. Die Beichte ist heilbringend und die Jugendlichen wissen das!
Kinderlager in Korneewka
Als nächstes folgte das Kinderlager in Korneewka. Hier hatte ich schon lange gespürt, dass es nicht leicht werden würde. Wir haben vor drei Jahren mit dem Experiment eines Sommerlagers in Korneewka begonnen. Damals war meine Bedingung für ein Lager, dass zumindest 10 Kinder kommen würden. Es kamen 18 Kinder – mehr als erwartet. Seitdem hat sich einiges getan: Dieses Jahr hatte wir 50 Anmeldungen, viel zu viel für unser begrenztes Kirchenterritorium. Dennoch wollte ich niemanden nach Hause schicken. Fazit: Es war großartig und zugleich unglaublich anstrengend. Vermutlich wurden meine Haare im Laufe des Lagers noch grauer als sie ohnehin schon sind…
Der Ablauf folgte dem Programm, das wir schon in Tonkoschurowka getestet hatten. Die Lagerleitung hatte neben mir eine junge Kasachin, die schon seit einigen Jahren für die organisatorische Seite der Lager verantwortlich ist, während ich den geistlichen Teil übernehme. Wir sind ein gut eingespieltes Team, gemeinsam mit den Gruppenleitern und der Küche gelang es, ein herrliches Lager durchzuführen.
Mit Jugendlichen in Karaganda und Osjornoe
Nach einigen Tagen Ruhepause führten wir die nächste Aktivität durch: Mit 10 Jugendlichen machten wir uns auf den Weg nach Karaganda, ca. 800 km südöstlich von Korneewka. Die Autofahrt war eine Qual. Erst nach über 10 Stunden Fahrt waren wir in der Stadt angelangt, wo wir bei der neuen Kathedrale Maria, Mutter aller Völker Quartier bezogen. Die Jugendlichen waren begeistern von der Schönheit und Größe des Gotteshauses. Wir verbrachten einen halben Tag nur damit, den Sinn und die Sakralität dieses Ortes zu erfassen. Am folgenden Tag brachen wir zu einem Ort namens Dolinka auf. Hier hatte sich in der Sowjetzeit das Zentrum eines riesigen Systems von Arbeitslagern befunden. Zahllose Menschen wurden hierher deportiert, wo sie viele Jahre Zwangsarbeit verrichten mussten. Hinrichtungen und Folter gehörten zur Tagesordnung. Heute befindet sich an dieser Stelle ein herausragendes Museum, in dem man die Gefängniszellen, die Folterräume und die Erschießungsstätten noch sehen und in die grauenvolle Atmosphäre eintauchen kann. Diese Eindrücke machten unsere Fahrt zu einem unvergesslichen Erlebnis. Am kommenden Tag mussten wir wieder nach Hause aufbrechen, weil in wenigen Tagen ein wichtiges Großereignis stattfinden sollte: Das Jugendfest in Osjornoe.
Das Dorf Osjornoe ist nur 20 km von Tonkoschurowka entfernt. Es ist das nationale katholische Heiligtum, in dem die Mutter Gottes vom reichen Fischfang verehrt wird. Während und nach den Kriegsjahren herrschte in dieser Gegend eine große Hungersnot. Vertrauensvoll wendeten sich die katholischen Christen an die Mutter Gottes, dass sie ihnen in irgendeiner Weise helfen möge. Plötzlich fanden sich im See am Dorfrand zahllose Fische, so viele, dass sie bis in die nächsten Städte exportiert werden konnten. So wurden die Dorfbewohner vor der drohenden Hungerskatastrophe bewahrt. Vor und nach diesen Hungerjahren – bis heute – fanden und finden sich im See tatsächlich keine Fische. Im Laufe des jährlich stattfindenden Treffens pilgern die Jugendlichen mit dem Allerheiligsten zu einer Marienstatue, die am Seeufer errichtet wurde. An diesem Glaubensfest nehmen jedes Jahr mehrere hundert junge Erwachsene aus Kasachstan teil. Dieses Mal hatte mich unser Erzbischof Tomash Peta gebeten, die Vorträge für die Jugendlichen zu übernehmen, eine wundervolle und anspruchsvolle Aufgabe. Neben den Vorträgen gab es ein reichhaltiges Programm, viele Treffen, Lieder, Tänze, Prozessionen, etc. Kurz gesagt: Eine herrliche Zeit mit großartigen jungen Menschen. Es wäre wirklich so wichtig, dass diese Jugendlichen auch in Kasachstan bleiben würden, um so eine neue, tief gläubige Generation der Kirche zu bilden. Leider tragen sich aber viele mit dem Gedanken, Kasachstan zu verlassen, um in Russland, Polen oder Deutschland ihre Existenz aufzubauen.
Herr, gib diesen jungen Menschen die Kraft, deinen Namen in einer Welt zu verkünden, die dem Christentum gegenüber gleichgültig oder sogar ablehnend gegenüber steht!
Zu guter Letzt
Ein letztes schönes Ereignis war eine Hochzeit, die ich in Karaganda halten durfte: Die Braut stammt aus der Stadt Temirtau, wo sich die Pfarrei befindet, in der ich zuerst in Kasachstan wirken konnte. Sie war eine Neubekehrte und blieb ihrem Glauben immer treu. Später, als sie als Au Pair in München arbeitete, erlebte sie erstmals Schwierigkeiten. Sie war es gewohnt, jeden Monat zur Beichte zu gehen. So fragte sie kurzerhand einen Priester, ob er ihr die Beichte abnehmen könnte. Der Priester war fassungslos. So etwas war ihm seit Jahren nicht mehr passiert: Ein junger Mensch, der gerne und freiwillig zur Beichte geht …
Am Ende des Sommers angelangt, kann ich mit Dankbarkeit und Erleichterung zurückblicken: Wir konnten alle geplanten Unternehmungen gut und ohne große Schwierigkeiten durchführen. Die Erleichterung ist groß: Denn oft gibt es so viele Fragen und Probleme gleichzeitig zu lösen. Dazu kommt die tägliche Sorge um die Erwachsenen, Jugendlichen und Kinder, die der Herr uns anvertraut hat. Die größte Sorge gilt dem Heil ihrer Seelen. Ehrlich gesagt, bin ich manchmal schon am Ende meiner Weisheit und rufe zum Herrn um seine Hilfe. Es ist beruhigend zu wissen, dass wir selbst niemanden retten können. Auch wenn ich die Nächte durchwache, mich in zahlreiche Aktivitäten verstricke, die Leute ununterbrochen belehre und beschäftige: Ich kann niemanden retten! Das kann nur Gott allein. Ist das nicht wirklich beruhigend: Wir dürfen IHM in jedem Dienst, den wir verrichten, grenzenlos vertrauen, dass er alles gut macht! Darauf dürfen wir wirklich vertrauen: Er möchte unser Heil, das Heil eines jeden Einzelnen.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.